Kreidezähne – brüchiger Zahnschmelz bei Kindern
Etwa jedes zehnte Kind leidet an Kreidezähnen: Verfärbte und poröse Zähne, die anfällig für Karies sind. Als einzige Maßnahme bleibt eine verstärkte Kariesprophylaxe.
Im Jahr 1987 wurden sie erstmals entdeckt, heute gelten sie bereits als neue Volkskrankheit: Bei 12-jährigen Kindern sind Kreidezähne häufiger als Karies1. In leichten Fällen erzeugen sie nur unschöne Verfärbungen, in schweren Fällen bereiten sie den Kindern anhaltende Schmerzen. Als einzige Maßnahme bleibt eine gründliche Kariesprophylaxe, die Schlimmeres verhüten kann.
Die Erkrankung – gestörte Bildung von Zahnschmelz
Kreidezähne entstehen, wenn die Bildung des Zahnschmelz gestört ist. Die Störung kann bereits im Fetus beginnen, der im achten Schwangerschaftsmonat die ersten Zahnanlagen im Kiefer ausbildet. Etwa ab dem vierten Lebensjahr wird kein neuer Zahnschmelz mehr aufgebaut, da die dafür zuständigen Körperzellen – die Ameloblasten – verschwinden.
Oft sind schon beim Austritt der Zähne die ersten Schäden zu sehen2. Der Gehalt an Mineralstoffen wie Hydroxylapatit ist zu gering (Hypomineralisation), während der Anteil von Proteinen und Wasser zu hoch ist. Kreidezähne sind dadurch weicher und weniger widerstandsfähig als normale Zähne.
Betroffen sind vor allem die ersten bleibenden Backenzähne (Sechsjahrmolare) und die Schneidezähne (Inzisiven) – Ärzte sprechen daher von einer Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH). In manchen Fällen sind bereits die Milchzähne betroffen, was als Milchmolaren-Hypomineralisation (MMH) bezeichnet wird. Nur in seltenen Fällen sind auch andere Zähne betroffen3.
Die Folgen – Verfärbungen und Absplitterungen
Bei leichter Ausprägung sind Verfärbungen das wesentliche Merkmal der Kreidezähne2. Es entstehen scharf abgegrenzte Stellen, deren Tönung von weiß-cremig bis gelb-braun reichen kann. Ähnliche Verfärbungen treten auch bei einer Zahnfluorose auf, doch dabei sind die Ränder diffuser und die Oberfläche der Zähne glatter.
Bei stärkerer Ausprägung ist die Oberfläche des Zahnschmelz aufgeraut, manchmal sogar porös. Die Schmelzschicht kann deutlich dünner sein, die Zähne sind weniger hart und empfindlich. In sehr schweren Fällen kann es zu Absplitterungen oder sogar Einbrüchen des Zahnschmelz kommen.
Der poröse Zahnschmelz erleichtert Bakterien das Eindringen in das Innere des Zahns, wo sie im schlimmsten Fall chronische Entzündungen auslösen. Betroffene Kinder reagieren sehr empfindlich auf kalte und heiße Speisen, auch das Kauen kann schmerzhaft sein. Die ständigen Schmerzen können das Kind erheblich belasten.
Um eine einheitliche Diagnose der Schädigungen zu ermöglichen, hat eine internationale Forschergruppe ein Schema mit vier Schweregraden (Indices) vorgeschlagen3. Die Diagnose richtet sich danach, wie stark die Defekte im Zahnschmelz sind und ob die Kinder Schmerzen erleiden.
Die Risikofaktoren – Erkrankungen im frühen Alter
Vermutlich gibt es mehrere Faktoren, die in bestimmten Kombinationen oder unter gewissen Bedingungen die Defekte im Zahnschmelz auslösen können. Studien haben ein erhöhtes Risiko bei folgenden Umständen nachgewiesen2,4,5:
- Erkrankungen der schwangeren Mutter
- Erkrankungen des Kindes
- Komplikationen bei der Geburt
- Vitamin-D-Mangel
- häufige Anwendung von Antibiotika oder Aerosolen
- gestörter Kalzium-Phosphat-Haushalt (chronische Nierenerkrankungen)
Manche Forscher hatten auch den Weichmacher Bisphenol A im Verdacht, der bis 2011 auch in Nuckelflaschen zu finden war4. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hält diese Vermutung allerdings für wenig stichhaltig6.
Die Ursachen – Albumin im Zahnschmelz?
Die Ursachen der Kreidezähne sind noch nicht eindeutig geklärt, Versäumnisse in der Mundhygiene gehören jedoch eindeutig nicht dazu. Lange Zeit waren Forscher der Meinung, dass eine Störung der zahnbildenden Zellen im frühen Kindesalter für den Defekt verantwortlich ist.
Eine neue Hypothese sieht die Ursache jedoch in der Zusammensetzung der Zähne7. Untersuchungen fanden in Kreidezähnen ungewöhnlich große Mengen des Proteins Albumin. Albumin ist ein häufiger Bestandteil des Bluts und der Gewebeflüssigkeit, kommt aber normalerweise nicht in Zähnen vor. Möglicherweise verhindert das Albumin die Mineralisation des Zahnschmelzes und verursacht die weichen Stellen. Frühkindliche Infektionen könnten dazu beitragen, dass Albumin in die unreifen Zähne gelangt8.
Die Häufigkeit – etwa jedes zehnte Kind ist betroffen
Kreidezähne werden meist erstmals im Alter von sechs Jahren sichtbar, wenn die ersten bleibenden Backenzähne (Sechsjahrmolare) durchbrechen. Insgesamt sind etwa 10 bis 15 Prozent aller Kinder in Deutschland betroffen. Besonders häufig scheinen Kreidezähnen bei 12-Jährigen aufzutreten – fast 30 Prozent weisen sie auf, das ist häufiger als Karies2. Allerdings handelt es sich hier überwiegend um eher harmlose Verfärbungen.
Die Vorbeugung – Vorsicht vor Karies
Eine Vorbeugung ist bislang nicht möglich1. Achten sollten Eltern jedoch auf eine gründliche Kariesprophylaxe, denn Bakterien haben bei Kreidezähnen leichtes Spiel:
- die poröse Oberfläche erschwert das Beseitigen von Zahnbelägen
- Durchbrüche im Zahnschmelz lassen Bakterien leichter ins Dentin und die Pulpa eindringen
- Schmerzen erschweren eine gründliche Reinigung der Zähne
Betroffene Kinder sollten daher in kurzen Abständen von drei bis sechs Monaten zum Zahnarzt gehen, der bei Bedarf eine gründliche Kariesprophylaxe mit Fluoridlack und Fissurenversiegelung durchführt. Zusätzlich wird die Verwendung von fluoridhaltiger Zahnpasta dringend empfohlen2.
Die Therapie – Erhaltung des Zahns als erstes Ziel
Die Schäden an einem Kreidezahn kann der Zahnarzt nicht rückgängig machen, aber er kann ein weiteres Fortschreiten verhindern. In vielen Fällen kann ein Zahn lebenslang erhalten werden. Je nach Schweregrad – und zusätzlich zur unbedingt notwendigen Kariesprophylaxe – stehen dem Arzt verschiedene Optionen zur Verfügung2,5:
- Füllungen und Abdeckungen können den Zahn stabilisieren und widerstandsfähiger machen
- desensibilisierende Pasten gegen den Schmerz4
- In schweren Fällen können Kronen die Wurzel schützen und erhalten
Nur in Ausnahmefällen, wenn der Zahn anhaltende und schwere Schmerzen verursacht, kann er auch gezogen werden.
Wichtiger Hinweis
Dieser Artikel gibt den aktuellen Stand des Wissens wieder. Er enthält jedoch nur allgemeine Hinweise, die nicht für eine Selbstdiagnose oder Selbstbehandlung geeignet sind. Einen Arztbesuch kann er auf keinen Fall ersetzen.
Quellen und weiterführende Literatur
- 1 D. Moll, Kreidezähne – was Apotheker wissen müssen, Deutsche Apotheker Zeitung, September 2018 (Link)
- 2 Bayerische Landeszahnärztekammer, Kreidezähne, zahn.de, abgerufen April 2024 (Link)
alle Referenzen anzeigen
- 3 Bekes und Steffen, The Würzburg MIH concept, Oralprophylaxe Kinderzahnheilkunde, 2016 (Link)
- 4 J. Cornelsen, MIH: Neue Erkenntnisse aus der Kinderzahnheilkunde, dzw-DieZahnarztWoche, Dezember 2017 (Link)
- 5 N. Krämer, Kreidezähne rechtzeitig erkennen und behandeln, Interview mit Mobil-e, abgerufen April 2024 (Link)
- 6 Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), Zusammenhang zwischen „Kreidezähnen“ bei Kindern (Molar-Incisor- Hypomineralisation, MIH) und der Aufnahme von Bisphenol A ist nach derzeiti- gem Stand des Wissens unwahrscheinlich, Mitteilung Nr. 025/2018, August 2018 (Link)
- 7 Hubbard et al., A Breakthrough in Understanding the Pathogenesis of Molar Hypomineralisation: The Mineralisation-Poisoning Model, Frontiers in Physiology, Dezember 2021 (Link)
- 8 N. Podbregar, Rätsel der Kreidezähne gelöst?, scinexx.de, Dezember 2021 (Link)